Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat vor wenigen Stunden auf ihrem Gewerkschaftstag beschlossen: Max-Traeger-Stiftung wird umbenannt. Max Traeger ist kein Vorbild mehr.
Zum Gewerkschaftstag der GEW 2022
Materialien zur Kritik der von Gewerkschaftsgremien beauftragten Studien und zur Begleitung der Debatte auf dem Gewerkschaftstag:
Benjamin Ortmeyer: Stellungnahme zu Jörn-Michael Goll: „Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und das NS-Erbe“ (2021)
Benjamin Ortmeyer: Stellungnahme zu Marcel Bois: „Volksschullehrer zwischen Anpassung und Opposition. Die ‚Gleichschaltung‘ der Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens in Hamburg“ (2020)
Presse berichtet zur Ausstellung
Zur Frankfurter Ausstellung über die Debatte um Max Traeger und die Aufarbeitung der Geschichte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sind folgende Presseberichte erschienen:
- Jüdische Allgemeine berichtet über: „Die zweite Schuld“ (26.11.2020)
- DIE ZEIT hat ein ausführliches Interview mit Benjamin Ortmeyer veröffentlicht: „Max Traeger war ein Nazi-Kollaborateur“ (18.10.2020)
- Hinweis in Junge Welt vom 20.10.2020: „Disput um Namensgeber von GEW-Stiftung“ (20.10.2020)
Ausstellung eröffnet
Am 19. Oktober wurde die gemeinsam mit dem AStA der Uni FfM initiierte Ausstellung über Max Traeger im Frankfurter DGB-Haus eröffnet.
Sie kann vom 19. Oktober bis Mitte November in der Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77 und anschließend vom 23. November bis Ende Januar im Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim besucht werden. Neben den Ausstellungen vor Ort gibt es einen virtuellen Videorundgang sowie die Broschüre zur Ausstellung.
Anlässlich der Eröffnung hat der AStA der Uni FfM eine Pressemitteilung (16.10.2020) herausgegeben. In dieser werden Hintergrund und Inhalt der Ausstellung ausführlich erläutert.
Ausstellungsentwurf (Februar 2020)
Eine neue Broschüre ist erschienen. Das Februar 2020 vorgelegte Material stellt die Grundlage für den Entwurf einer öffentlichen Ausstellung dar. Ihr Ziel: die Diskussion über die Änderung des Namens der Max-Traeger-Stiftung voranzutreiben. Die bislang versammelten Materialien legen den Hauptakzent auf die politischen und gewerkschaftlichen Konsequenzen aus den bisher erfolgten Analysen.
Wer Ergänzungen, Kritik oder Verbesserungsvorschläge hat, darf sich gerne melden. Die Mailadresse für Rückmeldungen ist diese: mtkeinvorbild(at)gmail.com
Bericht des Forschungsprojekts aus Leipzig
Jörn-Michael Goll und Detlev Brunner (Universität Leipzig) wurden von der GEW mit der Erforschung der NS-Vergangenheit beauftragt. Einen Bericht zu ihrer Arbeit stellten die beiden Historiker in der E&W (09/2019) vor. Zudem gab es im Juli 2019 eine von der Jungen GEW Sachsen ausgerichtete Veranstaltung in Leipzig, bei der die Ergebnisse zum Projekt ebenfalls präsentiert wurden.
Ergebnisbericht in der E&W
In E&W 09/2019 wurde ein erster Bericht zu den Ergebnissen veröffentlicht („Die GEW und die NS-Vergangenheit: Pragmatismus statt Reflexion“). Im Auftragsforschungsprojekt wird in Bezug auf die Mitgliedschaft im NSLB und das Wirken der Lehrkräfte in der NS-Zeit folgende Grundposition vertreten:
Auch wenn es diese Umstände nahelegen, ist nicht davon auszugehen, dass Lehrkräfte eine besondere Nähe zum Nationalsozialismus entwickelten.
In Bezug auf die Nachkriegszeit hält der Artikel dann im Fazit fest:
Zumindest für die Nachkriegszeit muss festgestellt werden, dass die Gründergeneration der GEW nicht bereit war, das Verhalten ihrer Mitglieder im Nationalsozialismus kritisch zu reflektieren.
Wenn man sich beide Positionen vergegenwärtigt, wirft das die Frage auf: Was hätten die als Neu-GEWgründer auftretenden Alt-NSLB-Mitglieder tun sollen? Kritisch reflektieren, dass sie gar keine Nähe zum Nationalsozialismus hatten? Immanent gelesen will das nicht ganz logisch erscheinen. Möglicherweise ergibt sich die Doppelpositionierung aber einfach dadurch, dass sich der erste Textteil die Position der GEW als Auftraggeberin zu eigen macht, während im Fazit die Position der Forscher durchscheint. Man darf sich dennoch fragen: Was jetzt – Ja oder Nein?
In Bezug auf die Nachkriegszeit weist der Artikel – auf Basis der Auswertung von Unterlagen des Verbands badischer Lehrer und Lehrerinnen – auf zwei Befunde hin. Erstens die Beteiligung der GEW an der Abwehr und Verdrängung der Vergangenheit.
Nach einer Analyse der vorliegenden Quellen steht fest, dass fast alle betroffenen Lehrkräfte die Entnazifizierung als „weiteren Opfergang“ empfanden, nachdem sie in der Zeit des Nationalsozialismus „anständig“ geblieben seien und die Entbehrungen des Krieges ertragen hätten. Solche Sichtweisen wurden von den Verbänden offenbar ohne Einschränkung geteilt.
Eine gesellschaftliche Aufarbeitung der Ursachen des Faschismus wurde dadurch blockiert. Zweitens stellt der Artikel am Beispiel des Verbands badischer Lehrer und Lehrerinnen auch die Beteiligung an der Renazifizierung der Bundesrepublik Deutschland fest. Demnach beteiligten sich die Verbände inhaltlich, organisatorisch und finanziell daran „selbst hochgradig belastete Lehrkräfte“ aus ihren Reihen, die im Zuge der Entnazifizierung vom Schuldienst suspendiert worden waren, wieder in den Dienst zurückzubringen.
Neben einfachen finanziellen Unterstützungsleistungen stellten Lehrerorganisationen auch Entlastungsschreiben und Stellungnahmen an Schulbehörden, die Besatzungsmächte und zentrale Regierungsstellen aus und halfen dadurch mit, dass selbst hochgradig belastete Lehrkräfte letztlich wieder angestellt wurden.
Der Artikel weist darauf hin, dass in diesem Kontext etwa Wilhelm Seiler in den Dienst zurückgebracht und mit einer umfänglichen Pension ausgestattet wurde. Seiler war in Heidelberg Kreisleiter der NSDAP, Rektor und zeitweise Leiter des Stadtschulamtes. Er lies 1935 die jüdischen Kinder vom Unterricht an den Heidelberger Volksschulen ausschließen, stellte am 9. November 1938 die SA-Trupps für die Heidelberger Reichspogromnacht zusammen.
Veranstaltung in Leipzig
Am 03.07.2019 fand in Leipzig eine Veranstaltung zur „Aufarbeitung der GEW-Vergangenheit“ statt. Nach einem einleitenden Statement zur Entstehung der Debatte in der GEW stellten die Historiker hier ebenfalls einen Teil der Arbeit ihres Forschungsprojekts vor. Das StuRadio hat die Veranstaltung aufgezeichnet und stellt auf seiner Seite einen Audiodatei zur Verfügung.
Die Debatte muss offen geführt werden!
Eine Reihe von Presseartikeln hat Ende März die Auseinandersetzung um Max Traeger und die Geschichte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aufgegriffen. Dass die Auseinandersetzung nicht nur für die GEW von Interesse ist, wird dabei mehrfach unterstrichen:
– Im Artikel „Der Namensgeber und die Nazis“ leuchtet die Jungle World (15.03.2018) den Streit in der GEW aus und weist darauf hin, dass das abschließende Urteil in dieser Sache „auch für andere Namensgebungen in Deutschland richtungsweisend sein“ könnte.
– Auch der Text „Mitläufer oder nicht“ (Neues Deutschland, 31.03.2018) unterstreicht „Der Streit in der GEW hat Bedeutung über das Gewerkschaftsleben hinaus„.
– Von einer „Zeitenwende“ spricht auch ein Kommentar von Jürgen Amendt (31.03.2018): Nur weil die Benennung nach Max Traeger in der Vergangenheit sinnvoll erschien, heißt dies eben noch lange nicht, dass sie dies auch heute noch so sein muss.
– Dass die Debatte bislang noch zu wenig medial beachtet wurde beklagt wiederum Lena Tietgen (31.03.2018).
An der geringen Beachtung der Debatte hat auch das Verhalten des Bundesvorstands seinen Anteil: Über die Arbeit der vom Geschäftsführenden Vorstand eingesetzten Historikerkommission zur Geschichte der GEW ist nämlich selbst den meisten Mitgliedern der GEW nichts bekannt. Seit die Kommission ihre Arbeit aufgenommen hat, hat sich die Bundes-GEW zum Thema nicht mehr groß öffentlich geäußert. Auch für JournalistInnen gab es offenbar weder seitens der Boeckler-Stiftung noch seitens der Bundes-GEW zum aktuellen Arbeitsstand Kommentare. Geschichtswerkstätten, wie sie die GEW versprochen hatte, fanden bislang auch keine statt. Dass dem so ist, mag verschiedene Ursachen haben: Entweder geht man nicht davon aus, dass es zur NS-Geschichte der GEW groß neue Erkenntnisse gibt, will das Thema unter dem Tisch halten oder man ist bereits fündig geworden. Ganz gleich, was davon zutrifft, eines scheinen große Teile der GEW bislang nicht begriffen zu haben: Die Auseinandersetzung hat eine gesellschaftliche Bedeutung. Eben deshalb müsste die Debatte gewerkschaftsoffen und gesellschaftsöffentlich geführt werden.
Hamburger Lehrerzeitung druckt Replik
In ihrer aktuellen Ausgabe (11/2017) hat die Hamburger Lehrerzeitung eine „Replik auf die Max-Traeger-Biographie von Hans-Peter de Lorent“ abgedruckt. Der ausführliche Beitrag von Bernhard Nette und Stefan Romey liefert auch eine Reihe von Archivmaterialien zur Diskussion der Geschichte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft und ihres ersten Vorsitzenden. Der Artikel ist mittlerweile auch online verfügbar. Der Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft befindet sich derweilen in Erklärungsnot. Mehr und mehr Zweifel werden an der Traeger-Biographie laut, die vom ehemaligen Hamburger GEW-Vorsitzenden Hans-Peter de Lorent verfasst und im Namen der GEW-Bundesvorsitzenden Marlis Tepe herausgegeben wurde.
Kontroverse um eingesetzte Aufarbeitungskommission
Der Streit um Max Traeger geht in die nächste Runde. Der neuste Coup der Gewerkschaftsspitze: Bei der Hans-Boeckler-Stiftung wurde zur Aufarbeitung der Causa Traeger im Auftrag der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eine Projektgruppe „Gewerkschaftsgeschichte“ eingesetzt. In der vom GEW-Bundesvorstand eingesetzten Gruppe ist kein einziger Traeger-Kritiker vertreten. Von den Verteidigern Traegers hat man dagegen gleich mehrere in die Kommission gesetzt. Einer der lautesten unter den Apologeten, Fredrik Dehnerdt vom Hamburger Landesvorstand, soll die Sitzung der kuriosen Kommission eröffnen.
Mit einer hochnotpeinlichen Aktion wie dieser beweist der Bundesvorstand der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft einmal mehr, wie wenig Interesse man an einer kritischen Debatte über Kontinuitäten zwischen dem im Nationalsozialismus bestehenden NS-Lehrerbund und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat. Eine offene und öffentliche Debatte über die gewerkschaftseigene Geschichtsschreibung wird diese aber kaum aufhalten können – sie läuft längst.
Die Jüdische Allgemeine berichtete in ihrer Ausgabe vom 16.11.2017 ausführlich über die laufende Kontroverse in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Der gut recherchierte Artikel gibt den Leserinnen und Lesern einen Überblick zur Debatte während der öffentlichen Veranstaltung in Frankfurt. Das eingangs erwähnte Statement des Erziehungswissenschaftlers Micha Brumlik kann hier nachgehört werden. Aber auch die aktuelle Auseinandersetzung um die eingesetzte Kommission kommt im Artikel zur Sprache. Während sich die Boeckler-Stiftung auf die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft als Geldgeberin beruft und zur Auskunft gibt, dass nur WissenschaftlerInnen, die selbst nicht an der Kontroverse beteiligt seien, angefragt wurden, gibt es von Seiten der GEW-Studierenden eine deutliche Kritik:
Der BASS kritisiert hingegen die Zusammensetzung der Kommission, in die zwar Gewerkschaftsfunktionäre berufen worden seien, die ein Interesse an der Verteidigung Max Traegers hätten, aber keine Kritiker, die die Debatte angestoßen hätten.
Buchvorstellung in Frankfurt
Zur Frankfurter Veranstaltung über die Arbeit der Forschungsstelle NS-Pädagogik ist mittlerweile eine ausführliche Dokumentation mit Präsentationsfolien und einer dreiteiligen Videoaufzeichnung verfügbar.
Neben anderen Arbeitsfeldern, wie etwa der aktuellen Dissertation von Z. Ece Kaya zur Kolonialpädagogik in der NS-Zeit, wurde bei der Veranstaltung am 26.10. auch die zähe Debatte um Max Traeger thematisiert. Anlässlich des neu erschienenen Sammelbands „Max Traeger – Kein Vorbild“ gaben verschiedene Beiträge einen Einblick in zähe Abwehrdebatten und organisationsinterne Schikanen rund um die Debatte für eine Aufarbeitung der Geschichte der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Die vom ehemaligen Vorsitzenden der GEW Hamburg, Hans-Peter de Lorent, in seiner Biographie vertretene Apologie Traegers wurde dabei deutlich in Frage gestellt.
Die Veranstaltung der Forschungsstelle wurde unterstützt vom Fritz-Bauer-Institut, dem AStA der Goethe-Uni, dem Beltz-Verlag sowie dem Landesverband Hessen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.